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Beitrag vom 21.05.2008
Die Unbekannte - La Sconosciuta
Tatjana Zilg
In dem vielfach prämierten Thriller von Giuseppe Tornatore spürt eine ukrainische Frau in einer norditalienischen Stadt den Folgen ihrer Vergangenheit nach. Mit einem hohen Spannungsfaktor ...
... und zugleich sehr berührend.
Von einem Oscarpreisträger wird viel erwartet: Viel Energie sowie materielle Ressourcen mobilisierte der Regisseur, der 1989 für "Cinema Paradiso" ("Nuovo Cinema Paradiso") den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt, für "Die Unbekannte". Acht Millionen Euro kostete das Meisterwerk, das von der ersten bis zur letzten Minute tief hineinzieht in eine komplexe Handlungsstruktur, in deren Mittelpunkt eine schöne, geheimnisvolle Frau steht.
Einiges dabei wirkt wie eine Hommage an die großen Regisseure des Mystery-Thrillers. Die Rätselhaftigkeit und die bedrohliche Grundstimmung erinnern an Alfred Hitchcock. Die Kunst, die Hauptcharaktere in all ihren Facetten zwischen Gut und Böse darzustellen, lässt an Quentin Tarantino denken. Die raffiniert eingesetzten surrealen und bizarren Elemente sorgen für eine Atmosphäre wie in einem David Lynch-Film.
In Italien lief "Die Unbekannte - La Sconosciuta" bereits im Jahre 2006 in den Kinos. Einige ZuschauerInnen sahen in dem Film eine Rückkehr des Regisseurs zu seinen frühen Soziodramen, doch dies ist sicherlich zu kurz gedacht. Der Kern der Geschichte basiert zwar auf einem sehr aktuellen sozialen Thema, doch der Regisseur gestaltet daraus mit den Stilmitteln des Thrillers und des Film Noirs einen hoch spannenden Plot, der manche Sequenz stark überzeichnet. Auch die Charaktere sind nicht direkt der Realität entliehen.
Der Film beginnt damit, wie die Unbekannte alias Irena (Xenia Rappoport) in einer namenlosen Kleinstadt ankommt. Sie mietet eine Wohnung an und forciert sehr zielstrebig eine Anstellung als Putzfrau im Haus gegenüber. Schnell wird deutlich, dass ihre Motive darüber hinausgehen, im Westen Geld zu verdienen und nach einem besseren Leben zu suchen. Sie schreckt nicht davor zurück, einen Unfall der ältlichen Gina (Piera Degli Espositi) zu verursachen, die seit Jahrzehnten bei der Juweliersfamilie Adacher als Dienstmädchen angestellt war. Irena gelingt es, als ihre Nachfolgerin auserwählt zu werden. Ihr Verhalten im Umgang mit der Familie gibt einige Rätsel auf. Einerseits lässt sie sich von Valeria Adacher (Claudia Gerini), freiberufliche Goldschmiedin und Mutter einer kleinen Tochter, widerspruchslos mit Arbeit überhäufen. Andererseits spioniert sie, sobald sich Gelegenheit dazu ergibt, die Wohnung aus. Ihre Neugier ist besonders auf die Tochter Thea (Clara Dossena) gerichtet, die an einer merkwürdigen Krankheit leidet. Sie verfügt nicht über den Reflex, sich beim Hinfallen mit den Armen abzufangen. Dadurch verletzt sie sich häufig. Anfänglich scheint Irena das Kind nicht zu mögen, doch dann bemüht sie sich sehr geschickt um das Mädchen.
Allmählich ergeben sich durch Rückblenden erste Hinweise auf die Vergangenheit Irenas in der Ukraine. Sie wurde dort Opfer eines brutalen Zuhälters, der in einem ausgedehnten Netzwerk Frauen als Prostituierte mit hohen Gewinn zu seinen Gunsten einsetzte. Als der Zuhälter Muffa (Michele Placido) plötzlich in Italien auftaucht und seine Macht über Irena wieder ausüben will, spitzen sich die Konflikte zu.
Die zentralen Themen des Films sind die Enthüllung der Umstände, die dazu geführt haben, dass Irena in der italienischen Kleinstadt versucht, die Konflikte ihrer Vergangenheit zu lösen, und der innere Veränderungsprozess, der durch diese Ereignisse verursacht wurde und sie selbst zur Täterin werden lässt.
Hervorragend und absolut überzeugend ist die Interpretation der Irena durch Xenia Rappaport. Die russische Schauspielerin ist in ihrer Heimat sehr berühmt und hat sich vor allem durch Theaterrollen einen Namen gemacht. Auch die Leinwand nimmt sie durch eine außergewöhnlich hohe Präsenz für sich ein.
"Die Unbekannte" wurde 2007 bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises mit dem Publikumspreis als "Bester Film" ausgezeichnet. Im Jahr zuvor triumphierte der Film bei der Verleihung des italienischen Filmpreises "David di Donatello" in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin, Beste Kamera und Beste Filmmusik.
AVIVA-Tipp: Der Regisseur versetzt die ZuschauerInnen in die Welt eines Menschen, der nach einer traumatischen Belastung versucht, einen Weg zu finden, mit den beängstigenden Erlebnissen weiterzuleben. Dabei variiert Giuseppe Tornatore sehr geschickt und manches Mal überraschend mit Erzähl- und Stilmitteln, lässt den Suspense-Pegel in die Höhe schnellen, um im nächsten Moment wieder eine anrührende Szene der Begegnung zwischen Irena und Thea zu zeigen. So erzeugt er einen Erzählfluss, der die Seelen bis in den letzten Winkel hinein packt und tief berührt aus dem Kinosaal entlässt. Dazu trägt natürlich auch der großartige Score von Ennio Morricone bei.
Die Unbekannte
La Sconosciuta
Italien 2006
Regie: Giuseppe Tornatore
DarstellerInnen: Xenia Rappoport, Michele Placido, Claudia Gerini, Margherita Buy, Pierfrancesco Favino
Verleih: Senator Filmverleih / Autobahn
Lauflänge: 118 Minuten
FSK: 16 Jahre
Kinostart: 22.05.2008